Multicodierung auf Schulhöfen und in Kindertagesstätten
Erstmals wurde der Begriff „Multicodierung“ von dem Landschaftsarchitekten Dr. Carlo W. Becker (geb. 1957) 2012 verwendet, als er damals mit seinem Planungsbüro auf die verbesserten denkbaren Funktionsmöglichkeiten bei der Stadtplanung hingewiesen hat. Die Forschungsstelle für Frei- und Spielraumplanung (FFS) bezog sich besonders auf diesen Begriff im Rahmen der Freiraumplanungen für Kindertagesstätten und Schulen, da sich dahinter der fachübergreifende Planungsansatz verbirgt. Bei diesen beiden übergeordneten Planungsfeldern erkennt man deutlich die bisher wenig diskutierten und kaum wissenschaftlich untersuchten Defizite, die sich über diese Mikroräume hinausbewegen. Noch immer liegt die Betrachtung auf den jeweiligen Hauptfunktionen, welche die Planung den Nutzern zuschreibt.
Die fachübergreifenden Freiraumkonzeptionen „Forschergarten“ bei Kindertagesstätten und „Schulhof als Forscherhof“ verbinden diese pädagogischen Räume bei Kinder- und Bildungshäusern mit multifunktionalen und demnach wesentlich komplexeren Lernerfahrungsfeldern. Einerseits indem diese Freiräume, abgesichert durch neurowissenschaftliche, entwicklungspsychologische und erziehungswissenschaftliche sowie landschaftsplanerische Erkenntnisse in der Gestaltungsvielfalt lernfördernd wirken. Andererseits durch den planerischen Wechsel vom Grau zum Grün, also dem Aktivieren und Austausch grauer Flächen und bei Kindertagesstätten der Übermöblierung durch Spielgeräte, vielfältige sinnlich grüne Anregungen gegenüberzustellen. Zudem über Zonierungen und Strukturierungen herausragende sozialintegrative, ökologische, zudem auch noch ökonomische Vorteile zu erreichen. Da es sich inhaltlich, bezogen auf Lernförderung bei Kindern, immer um die gleichen Ansätze handelt, wird nachfolgend ausschließlich der Schulhof als Forscherhof beschrieben.
Auf Grund der Ergebnisse der im Rahmen einer bundesweit angelegten Feldforschung der FFS (2019 – Mitte 2022) bei Schulhöfen aller Schularten wurde ermittelt, dass über 85 Prozent dieser Freiflächen nahezu ohne benutzbares Grün, unstrukturiert und aus Beton- oder Asphaltflächen bestehen. Da diese Schulhöfe Teil der Bildungshäuser sind, stellt sich qualitativ die Frage, inwieweit diese als größte pädagogische Räume von Schulen, sich im Sinne positiver Bildung eignen oder diese verhindern. Aus soziologischer Sicht gilt das für alle Altersgruppen von Schülerinnen und Schülern, die sich unter der Woche überwiegend mehrheitlich des Tages in der Schule aufhalten. Demnach sollte der Schulhof als Chance und Bildungsraum verstanden werden. Das vom Schulträger, den Lehrenden, den Schülerinnen und Schülern selbst und deren Eltern sowie der Hausmeister sowie der direkt an die Schule angrenzenden Bewohner.
Eine solche, bisher kaum erkannte Vielfalt an Anforderungen stellt vordergründig erst einmal eine große Herausforderung an die Landschaftsarchitektur als Hauptdisziplin. Nur diese Fachrichtung ist in der Lage diese Aufgabe qualitativ planerisch, also räumlich zu lösen. Es muss, um erfolgreich zu sein, die Bereitschaft bestehen, mit anderen Fachdisziplinen, die sich mit Lernförderung beschäftigen, zu kooperieren. Vorrangig den Erziehungswissenschaften, der Entwicklungspsychologie und den Neurowissenschaften. Aber auch den Ökologen, den Stadtplanern, den Klimatologen und unter anderem den Ingenieurwissenschaften, die sich mit der Wasserwirtschaft auskennen. Nur in der Einheit mit solchen gebündelten Kompetenzen können Räume, Freiräume entstehen, die Erholungs- und Kommunikationsraum, aber auch Lern- und Erholungsraum sind. Das im Sinne von Interaktions-, Spiel-, Sport und Forscherraum.
Entwickelt man solche Freiräume in der Sanierung oder im Rahmen von Neuanlagen, unterstützt man nachhaltig automatisch auch den Biodiversitätsansatz, kühlt urbane Räume bei Hitzesommern oder schafft Retentionsraum bei Starkregenereignissen. Diese bedeutsamen, zunehmend immer stärker im Fokus stehende Interessenslagen, welche bisher kaum als Chance erkannt wurden und Teil sein können, sich dem Klimawandel entgegenzustemmen, sind ebenfalls Teil der Multicodierung. Zudem Teil lernfördernder Impulse.
Durch die zunehmend registrierbare Lernunlust bei einem größeren Teil von Schülerinnen und Schülern, deren Bewegungsmangel und die damit verbundenen Auswirkungen (siehe Lampert, Schulhof als Forscherhof (SaF)), in Kombination mit einer falschen Ernährung, der sich weltweit negativen Klimaveränderung und dem zunehmenden Biodiversitätsverlust bei der Artenvielfalt, insbesondere sichtbar durch das Insektensterben, sollte die Möglichkeit einer Multicodierung bei künftigen Planungsüberlegungen und Planungsergebnissen unerlässlich einfließen. Nicht zu vergessen dabei die stark vernachlässigte Regenwassernutzung als lokale Ressource an Stelle der Ableitung über die Kanalisation. Durch diese apokalyptische Darstellung müsste es eigentlich an der Zeit sein, die derzeitige eher einseitige Betrachtungsweise, dem Nebeneinander zu denken und zu planen, Abschied zu geben. Lässt man sich darauf ein, was sicherlich ein Umdenken und das Kooperieren auf gleicher Augenhöhe voraussetzt, werden Ergebnisse erzielt, die auf vielfältige Weise problemlösend wirken und zudem auch ökonomisch wirtschaftlicher sind, da hierdurch Verknüpfungen anstehender Probleme entstehen und Zukunftsbeitrag nicht nur für die Bildungsdiskussion, sondern auch was den Klimawandel und die Biodiversität anbelangt sein. Das wird dann gelingen, wenn man als Landschaftsplanerin oder Landschaftsplaner fachübergreifende Synergien, also eine Kooperation mit den zuvor benannten Fachdisziplinen gleich zu Beginn der Aufgabenstellung anstrebt. Zudem braucht es aber auch noch einen Wandel innerhalb der Planungskultur, die ebenfalls eine aktive Beteiligung der künftigen Nutzer einschließt.